Rückschritt statt Fortschritt?

Menschen mit Behinderungen verlieren im Erwachsenenschutzrecht an Selbstbestimmung

Wie Österreich das Erwachsenenschutzrecht modernisierte

Im Jahr 2013 stand Österreich am Pranger. Der UN-Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen übte massive Kritik am damals geltenden Sachwalterrecht. Die zentrale Kritik: Es nehme Menschen mit Behinderungen zu viel Selbstbestimmung. Die Antwort darauf war ein langer, intensiver Reformprozess, in dem Betroffene selbst mitreden durften. Ein Meilenstein war schließlich das sogenannte 2. Erwachsenenschutz-Gesetz, das am 1. Juli 2018 in Kraft trat.

Das Gesetz brachte einen entscheidenden Paradigmenwechsel:

Nicht mehr die „Vertretung“ im Sinne eines Fremdbestimmens sollte im Mittelpunkt stehen, sondern die Unterstützung – und zwar so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich. Menschen, die etwa wegen psychischer Erkrankungen, Demenz oder kognitiver Beeinträchtigungen nicht alle Entscheidungen alleine treffen können, sollten künftig nicht einfach entmündigt, sondern begleitet werden. Dieses neue System wurde international gelobt – insbesondere, weil die Betroffenen selbst daran mitgewirkt hatten. Der UN-Ausschuss hob diese Reform im Jahr 2023 ausdrücklich positiv hervor.

Doch nun droht eine massive Kehrtwende.

Heimliche Änderungen im Budgetbegleitgesetz 2025

Der Verein Lichterkette, die erste bundesweite unabhängige Interessensvertretung für Menschen mit psychischen Erkrankungen, zeigt sich schockiert und irritiert: Mit dem Budgetbegleitgesetz 2025 sollen zentrale Punkte des Erwachsenenschutzrechts – wie die Verlängerung der gerichtlichen Erwachsenenvertretung von drei auf fünf Jahre und die Abschaffung des verpflichtenden Clearings durch Erwachsenenschutzvereine – still und heimlich geändert werden.

Das Brisante: Die Änderungen sollen ohne Abschluss der laufenden Evaluierungsprozesse und ohne Information der Beteiligten beschlossen werden – also auch ohne Einbindung der Betroffenen, die man einst zu Recht in die Reform 2018 eingebunden hat.

Verlängerung der Überprüfungsfrist von drei auf fünf Jahre

Derzeit muss die Notwendigkeit einer gerichtlichen Erwachsenenvertretung alle drei Jahre überprüft werden. Diese Frist soll auf fünf Jahre verlängert werden.

Warum ist das problematisch?

„Fristen schützen Menschenrechte. Wenn man sie verlängert, schwächt man das Prinzip der Überprüfbarkeit.“

Das bedeutet in der Praxis: Menschen könnten über einen deutlich längeren Zeitraum hinweg unter einer Erwachsenenvertretung stehen – auch dann, wenn sie diese gar nicht mehr brauchen.

Wegfall der verpflichtenden Prüfung durch Erwachsenenschutzvereine

Bisher muss bei jeder Überprüfung ein Erwachsenenschutzverein eingebunden werden. Diese Vereine sind speziell dafür ausgebildet, die Situation der betroffenen Person unabhängig zu beurteilen – auch im Hinblick darauf, ob die Vertretung überhaupt noch notwendig ist. Diese Pflicht soll nun gestrichen werden. Die Entscheidung läge dann allein beim Gericht.

Die Sorge: Richterinnen und Richter könnten auf das sogenannte „Clearing“ – also die unabhängige Prüfung – verzichten.
Es bestehe die Gefahr, dass Erwachsenenvertretungen stillschweigend verlängert werden, selbst wenn sich die Lebensumstände der betroffenen Person verbessert haben oder Alternativen zur Verfügung stehen.

Ein Rückschritt im Schatten des Budgets

Was besonders besorgniserregend ist: Diese weitreichenden Änderungen sollen im Rahmen eines Budgetbegleitgesetzes durchgewunken werden – versteckt, ohne öffentliche Diskussion, ohne Transparenz, und vor allem ohne Beteiligung derer, die es betrifft.

Damit würde nicht nur das Vertrauen in partizipative Gesetzgebung massiv beschädigt. Es würde auch gegen die Verpflichtungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention verstoßen, die eine aktive Mitbestimmung von Menschen mit Behinderungen in allen sie betreffenden politischen Prozessen verlangt.

Was ist Erwachsenenvertretungs-Assistenz bei Assistenz24?

Viele Menschen, die in ihrer Entscheidungsfähigkeit eingeschränkt sind – zum Beispiel aufgrund einer psychischen Erkrankung, Lernschwierigkeiten oder demenziellen Entwicklungen – haben eine gesetzliche Erwachsenenvertretung. Diese unterstützt sie bei wichtigen Angelegenheiten, etwa bei Verträgen, Behördengängen oder medizinischen Entscheidungen.

Unsere Erwachsenenvertretungs-Assistenz ist eine besondere Form der Persönlichen Assistenz:

Assistenz24 begleiten Menschen mit Behinderungen so, dass sie trotz Erwachsenenvertretung möglichst selbst bestimmt Entscheidungen treffen können. Unsere Assistentinnen und Assistenten erklären Inhalte in einfacher Sprache, helfen bei der Vorbereitung von Terminen oder Gesprächen und sorgen dafür, dass der Wille der betroffenen Person sichtbar und ernst genommen wird.

Eine Verschärfung oder Rücknahme von Rechten im Erwachsenenvertretung-Recht – zum Beispiel durch die stärkere Einschränkung der Handlungsfähigkeit oder durch die Zunahme von automatischen Vertretungen – würde bedeuten, dass die betroffenen Menschen weniger selbst entscheiden dürfen. Das widerspricht dem Grundgedanken der UN-Behindertenrechtskonvention: Unterstützung statt Entmündigung.

Gerade unsere Kund:innen brauchen keine Bevormundung, sondern begleitete Entscheidungsfreiheit. Änderungen im EV-Recht, die auf Vereinfachung für Behörden oder Angehörige abzielen, laufen Gefahr, die Rechte der betroffenen Menschen zu schwächen. Das würde ihre Selbstbestimmung und Teilhabe im Alltag massiv einschränken.

Unser Appell: Hände weg vom Erwachsenenschutz-Recht!

Der Verein Lichterkette fordert daher klar:

  • Keine Verlängerung der Befristung auf fünf Jahre
  • Keine Abschaffung des verpflichtenden Clearings
  • Keine Umgehung der laufenden Arbeitsgruppen und Expert:innen-Verfahren
  • Keine Gesetzesänderung ohne Beteiligung der Betroffenen!

Die Reform 2018 war ein Meilenstein. Lassen wir nicht zu, dass aus einem menschenrechtsbasierten System wieder ein paternalistisches Modell wird. Erwachsenenschutz darf nicht zum Verwaltungsthema degradiert werden – er ist ein Menschenrecht.

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